Eine notwendige Agenda für sozialen Fortschritt:

Soziale Mindeststandards in der EU ausbauen

Die EU hat eine Vielzahl allgemeiner sozialer Ziele und Prinzipien. Doch in der Praxis nahmen bislang marktliberale Ausrichtungen und restriktive Fiskalregeln oft einen höheren Stellenwert ein.

Es gilt jetzt, sich für fortschrittliche soziale Mindeststandards in der EU einzusetzen. Seien es Mindeststandards bei den Systemen der Arbeitslosenversicherung, eine stärkere Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping oder Arbeitnehmer:innenrechte in den Gesundheitsberufen: Die Debatten im Vorfeld der EU-Parlamentswahl sind ein Zeitfenster, Druck in Richtung konkreter Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen zu machen.

Die Europäische Union: Für Soziales gar nicht zuständig?

Obwohl in den EU-Verträgen mehrere soziale Ziele verankert sind, wie etwa die Ausrichtung auf „soziale Gerechtigkeit“ und „sozialen Fortschritt“ (Art. 3 (3) EUV), nahmen in der Praxis bislang marktliberale Ausrichtungen und restriktive Fiskalregeln oftmals einen höheren Stellenwert ein. Die 2017 beschlossene europäische Säule sozialer Rechte gilt als zentraler Referenzpunkt in der Debatte um die soziale Dimension der EU. Sie enthält wichtige Grundsätze für sozialen Fortschritt, ihre Prinzipien sind aber sehr allgemein formuliert, nicht immer progressiv genug und rechtlich unverbindlich. In den letzten Jahren wurden mehrere neue sozialpolitische EU-Richtlinien beschlossen. Doch mit Blick auf tiefgreifende soziale Problemlagen ist klar: Es muss noch viel getan werden, um die EU effektiv auf Kurs in Richtung eines sozialen Europas zu bringen.

Häufig wird argumentiert, die EU hätte im Bereich der Sozialpolitik kaum Kompetenzen. Doch dieses Argument ist – insbesondere wenn es um Arbeitnehmer:innenrechte geht – deutlich zu kurz gegriffen. Das EU-Vertragswerk eröffnet in Art. 153 AEUV in mehreren Bereichen Handlungsspielräume, um rechtlich verbindliche soziale Mindeststandards in EU-Richtlinien zu verankern. Gut ausgestaltete soziale Mindeststandards können dazu beitragen, Dumping-Wettbewerb und Absenkungswettläufe bei Sozialstandards einzudämmen und EU-weite Ziele zu erreichen. Es gilt jetzt, neue soziale Mindeststandards in der EU mit hohen Schutzniveaus und Nicht-Rückschritts-Klauseln als Teil eines neuen sozialen Aktionsprogramms zu schaffen.

Soziale Mindeststandards in der EU ausbauen

Einer der zentralen Gründe, der für eine Ausweitung sozialer Mindeststandards in der EU spricht, ist es, Dumping-Wettbewerb und Wettläufe nach unten bei Sozialstandards zu verhindern. Sei es, dass sich Unternehmen durch das Umgehen von Arbeits- und Sozialrecht bei grenzüberschreitend eingesetzten Arbeitskräften Wettbewerbsvorteile verschaffen wollen oder Regierungen glauben, durch das Absenken oder Niedrighalten von Sozialstandards Investoren anlocken zu können – all dem muss entgegengetreten werden. Einzelne Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten allein können hier nicht ausreichend effektiv sein.

Eine weitere zentrale Begründung für die Notwendigkeit ambitionierter sozialer Mindeststandards in der EU besteht darin, dass die Europäische Union derzeit in mehreren Bereichen (teils allgemeine, teils konkrete) soziale Ziele vereinbart hat – aber oftmals keine verbindlichen Maßnahmen, die darauf abzielen, diese Ziele zu erreichen. Gut ausgestaltete soziale Mindeststandards können dazu beitragen, dass einige der sozialen Zielsetzungen der EU nicht lediglich symbolische leere Worte bleiben.

23. Februar 2024

Nikolai Soukup, Alice Wagner

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