Sozialstaat – wie geht’s weiter?

Teuerung, Ungleichheit und Klimakrise machen klar: Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Ein wichtiger Schlüssel, um sie zu bewältigen, ist die Stärkung des Sozialstaats, argumentieren Adi Buxbaum und Nikolai Soukup – und stellen einen Kompass für sozialen Fortschritt vor.

Es läuft gerade einiges schief. Die hohe Teuerung treibt die Lebenskosten massiv in die Höhe, und die Schere zwischen Arm und Reich wird größer. Im vierten Quartal 2021 gaben rund 14 Prozent in einer Befragung der Statistik Austria an, dass ihre gesamten Wohnkosten eine schwere Belastung darstellen. Im zweiten Quartal 2023 waren es bereits  22 Prozent. Soziale Ungleichheiten manifestieren sich hartnäckig. Von Bildungsvererbung über das Lohngefälle zwischen Frauen und Männern bis hin zur Verteilungsschieflage bei den Vermögen. Der von der Arbeiterkammer Oberösterreich herausgegebene „Arbeitsklima Index“, der unter anderem die Arbeitszufriedenheit und die psychischen Belastungen von Beschäftigten erhebt, ist auf einem historischen Tiefstand angekommen. Zudem erschüttern uns die Folgen der Klimakrise immer öfter. Sie machen uns bewusst, dass die derzeit vorherrschende Wirtschaftsweise alles andere als nachhaltig ist. Diese Herausforderungen haben eines gemeinsam: Um sie bewältigen zu können, gilt es, den Sozialstaat zu stärken und fortschrittlich auszubauen.

Stärken und Schwächen des Sozialstaats

Der Sozialstaat – als Gefüge sozialer Errungenschaften, die oft von der Gewerkschaftsbewegung erkämpft wurden – ist Dreh- und Angelpunkt der Lösungsansätze für gesellschaftliche Herausforderungen. Er garantiert soziale Rechte, stärkt öffentliche Interessen gegenüber dem Profitstreben von Unternehmen und erweitert die Handlungsspielräume für jene, die nicht zu den obersten fünf bis zehn Prozent der Gesellschaft gehören. Eine aktuelle Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts zeigt erneut, wie stark der Sozialstaat – insbesondere über den Lebenszyklus – zur Umverteilung und Vermeidung von Armut beiträgt. Das beinahe flächendeckende System der Kollektivverträge in Österreich sucht international seinesgleichen. Und die gesetzliche Pensionsversicherung hat deutlich bessere Leistungshöhen als in anderen europäischen Ländern, in denen das öffentliche Pensionssystem kaputtgespart wurde.

Doch die soziale Absicherung hat auch unübersehbare Schwächen. So fällt etwa das Arbeitslosengeld für viele viel zu gering aus, sodass der Arbeitsplatzverlust rasch zur Armutsfalle wird. Die soziale Infrastruktur (von der Elementarbildung bis zur Pflege) hat großen Ausbaubedarf. Und viel zu oft wird das Handeln von Behörden als Disziplinierung empfunden, anstatt unterstützend wirksam zu sein. Unter der ÖVP-FPÖ-Koalition wurden zudem drastische Einschnitte im Sozialstaat vollzogen. Vom Gesetz über den 12-Stunden-Tag bis zur Abschaffung der Mindestsicherung und deren Ersatz durch eine armutsfördernde Sozialhilfe.

Die aktuelle Sozialpolitik spielt sich vorrangig im Krisenmodus ab. Auf die Corona-Krise folgte die Teuerungskrise. Positiv sticht zwar die automatische Wertanpassung bestimmter Sozialleistungen hervor, sie hat aber merkbare Lücken. Und während andere europäische Länder auf Preiseingriffe setzten, um die hohen Teuerungsraten in den Griff zu bekommen, legte die aktuelle Bundesregierung ihren Schwerpunkt auf Einmalzahlungen an Haushalte ohne nachhaltige Entlastung.

16. Januar 2024

Sozialstaat stärken: So geht’s! – Arbeit&Wirtschaft (arbeit-wirtschaft.at)

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