Pflege durch KI? Wie wir heute das Altern von morgen verhandeln

KI-basierte Systeme versprechen das Ende des Pflegenotstands. Mithilfe neuer Technologien könne die Pflegekrise bewältigt und die Pflegekräfte könnten entlastet werden. Dabei, so die Verheißung, kann ordentlich an Ausgaben eingespart werden. Anstelle intelligenterer Systeme brauchen wir aber fürsorglichere Systeme und Technologien, damit Pflege die Menschen in den Vordergrund stellt.

Fehlende Fachkräfte sind nicht nur dem demografischen Wandel und einer laufenden Pensionierungswelle geschuldet, sondern auch den fordernden Arbeitsbedingungen und der niedrigen Bewertung der Pflegetätigkeit. Besonders viele Frauen arbeiten im Care-Sektor. Rund ein Drittel der Pfleger:innen ist bereits über 50 Jahre alt und wird im Laufe der nächsten zehn Jahre in Pension gehen. Die schwierigen Arbeitsbedingungen drängen viele jüngere Pflegekräfte aus dem Bereich. Gleichzeitig steigt der Anteil der Menschen mit Pflegebedarf. Das erschwert die ohnehin belastenden Arbeitsbedingungen im Bereich der Pflege zusätzlich. Pfleger:innen leiden unter starkem Stress, sind psychisch und physisch immens gefordert. Das wiederum führt zu einer verminderten Qualität der Pflege und geht zulasten der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen. Um den Pflegenotstand zu bewältigen, ist der Einsatz von Technik und KI-basierten Systemen keine Utopie mehr.

Pflegerevolution durch Technik?

Durch die Integration von Technik und Systemen künstlicher Intelligenz sehen Entscheidungsträger:innen eine Chance zur (ausgabenschonenden) Behebung des Pflegenotstandes, allen voran Regierungen und Manager:innen von Pflegeheimen. Bereits jetzt sind unterschiedliche Technologien und Datenerhebungen in der Pflege im Einsatz und prägen die Beziehung zwischen den Menschen. Der Einsatz unterschiedlicher Technologien spiegelt wider, wie wir in unserer Gesellschaft erlauben, miteinander umzugehen. Technikutopien sind (derzeit) weitgehend von patriarchalen Vorstellungen geprägt, die sauber, technisch und absehbar sind. Gerade der Bereich der Pflege divergiert von diesem Ideal. Viele Aspekte der Pflege gelten als höchst intim, zeigen die Menschen in ihrer Verletzlichkeit und sind weitgehend mit Tabus und Schamgefühl behaftet.

Im Folgenden soll an dem Beispiel eines Projekts zur Entwicklung eines technischen Tools zur Kontinenzpflege in Belgien diskutiert werden, wie sich menschliche Beziehungen unter Einsatz von Technologien gestalten. Die Evaluation des Projekts zeigt, dass der würdevolle Einsatz von Technologien im Bereich der Pflege vor allem an den divergierenden Interessen der beteiligten Akteur:innen scheitert – also den Pflegebedürftigen und deren Familien, den Pflegekräften und der Managementebene. Vor allem die unterschiedlichen Interessen von Technologieanbietern und Regierungen spielen hier mit rein.

Smarte Kontinenzpflege – effektiv, ressourcenschonend und pflegezentriert?

Ziel des Projektes war die Entwicklung einer (automatischen und lernenden, also einer KI-)Technologie zur maximalen Ausreizung von Inkontinenzmaterialien (Windeln) mithilfe von eingebauten Sensoren. Diese sollte nicht nur zu Effektivität und Ressourcenschonung führen, sondern es sollte unter dem Deckmantel der Pflegezentriertheit gelingen, die Auslastung der Materialien zu verhindern. Vereinfacht gesagt, sollte technisch ermöglicht werden, durch vorzeitige Warnung zu verhindern, dass Kleidung und Betten inkontinenter Personen eingenässt werden. Pflegekräfte sollten dadurch entlastet und ordentlich Geld eingespart werden. Kontinenzpflege stellt einen wichtigen Teil der Pflegearbeit dar: In Pflegeheimen sind rund 50 Prozent der Bewohner:innen inkontinent, was dazu führt, dass Kontinenzpflege 20 bis 70 Prozent der Pflegeaufgaben betrifft. Unangenehm ist die Kontinenzpflege für beide, Pflegende und zu Pflegende, da sie mit Stigmatisierung und Scham behaftet ist.

09. Oktober 2024, Katta Spiel

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